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2. Theorie

2.1 Das Standardmodell und seine Erweiterungen

Nach dem Standardmodell besteht die gesamte Materie aus den in Tabelle 2.1 angegebenen Fermionen, die in drei Generationen vorkommen:
 
 
1. Generation 2.Generation 3.Generation
Quarks u d c s t b
Leptonen e- ne µ- nm t nt
Tabelle 2.1. Die elementaren Fermionen, eingeteilt in 3 Generationen.
Nur Teilchen der 1. Generation bauen die uns umgebende Welt auf. Zu jedem dieser Teilchen gibt es ein Antiteilchen mit der gleichen Masse wie das Teilchen, aber im Vorzeichen entgegengesetzten weiteren Quantenzahlen. Bis auf das t-Quark  und das Tau-Neutrino (nt) sind inzwischen alle Teilchen aus Tab 2.1 nachgewiesen. Außer den obigen Fermionen gibt es noch elementare Bosonen, die die Austauschteilchen der vier Grundkräfte sind, s. Tab. 2.2. Das hier aufgeführte Graviton ist noch nicht nachgewiesen.
 
Boson Kraft
g(Photon) Elektromagnetische Wechselwirkung
W+; W-; Z0 Schwache Wechselwirkung
g (Gluon) Starke Wechselwirkung
Graviton Gravitation
Tabelle 2.2. Die vier Grundkräfte und die sie übertragen den Bosonen.
Eines der Ziele der modernen Physik ist die Erklärung der vier Wechselwirkungen als Spezialfälle einer einzigen. Ein erfolgreiches Beispiel für die Vereinigung verschiedener Kräfte zu einer sind die Maxwell-Gleichungen und damit die Einführung des Begriffs der elektromagnetischen Wechselwirkung. In den letzten Jahrzehnten wurde daran gearbeitet, diese weiter mit der schwachen Wechselwirkung zur elektroschwachen Wechselwirkung zu verbinden. Ein erster großer Schritt zu diesem Ziel ist die Entwicklung des Standardmodells.

Das Standardmodell hat viele Vorhersagen gemacht, die später nachgewiesen wurden, wie die Existenz der neutralen Ströme, die Massen der Vektorbosonen usw. Bisher gibt es kein Experiment, dessen Ergebnisse nicht mit den Vorhersagen des Standardmodells übereinstimmen. Auf der anderen Seite läßt das Standardmodell jedoch viele Fragen offen, es macht z.B. keine Aussagen über die Massen der Teilchen. Ein anderer unbefriedigender Punkt sind die Erhaltungssätze der Baryon- und Leptonzahl, denn sie mußten künstlich eingefügt werden, um die Experimente zu erklären. Im Gegensatz zur Erhaltung der elektrischen Ladung gibt es nämlich keine Eichsymmetrie, aus der diese Erhaltungssätze folgen würden. Bei den Leptonen mußte man sogar noch einen Schritt weitergehen und eine eigene erhaltene Quantenzahl für jede Generation einführen, also Le, Lµund Lt Die Erhaltung der Leptonflavourzahlen gilt jedoch auch im Standardmodell nur dann streng, wenn die Massen der Neutrinos exakt 0 sind.

Man erwartet, daß das Standardmodell eine Niederenergienäherung einer allgemeineren Theorie ist. Deshalb bieten Experimente bei sehr hohen Energien eine Möglichkeit, die Grenzen des Standardmodells zu finden. Eine andere Möglichkeit ist, Reaktionen zu suchen, die im Standardmodell verboten, in der allgemeineren Theorie aber erlaubt sind. Diese Reaktionen sollten jedoch auch gemäß der allgemeinen Theorie stark unterdrückt sein, und deshalb sind sehr genaue Experimente mit hoher Statistik nötig, um sie nachzuweisen. Zu der letzten Art von Experimenten gehört das SINDRUM II - Experiment.

2.2 Die (µ ,e) Konversion am Kern

Der im SINDRUM II - Experiment gesuchte und im Standardmodell verbotene Prozeß der neutrinolosen ( µ-,e-) - Konversion:
                                                        (2.1)
bricht im Gegensatz zum bekannten Myonzerfall:
                                                       (2.2)
die Erhaltung der Myon- und Elektronzahl (Lµ, Le).
Ein ähnliches Experiment wurde bereits von der TRIUMF-Kollaboration [Ah 88] durchgeführt. Sie fand als obere Grenze des Verzweigungsverhältnisses dieser Reaktion (2.1), bezogen auf den µ-- Einfang im Kern:
              (2.3)
Der µ-Strahl trifft auf das Titantarget und bildet ein myonisches Atom, bei dem das Myon bis auf die innere Schale des Atoms springt. Falls die Konversion eines Myons in ein Elektron möglich ist, kann der gesuchte Prozeß auftreten. Die Energiebilanz dieser Reaktion ist sehr einfach. Das Elektron erhält eine Energie von:
                          (2.4)
mµ ist die Ruhmasse des Myons, Bµ die Bindungsenergie des Myons und RKern die Rückstoßenergie des Kerns. Setzt man die entsprechenden Werte für 48Ti ein, erhält man die gesuchte Energie des Elektrons:
                                                     (2.5)
Diese Überlegungen stimmen nur für myonische Atome im 1s Zustand. Da diese aber weit häufiger sind als solche in einem angeregten Zustand, können die anderen vernachlässigt werden. Die Aufgabe des Experiments ist also, signifikant mehr Elektronen mit dieser Energie zu finden, als durch die Untergrundreaktionen zu erwarten sind.

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